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Gerichtsstand

Der Begriff „Gerichtsstand“ hat tiefe Wurzeln in der Rechtsgeschichte und ist eng mit der Entwicklung des Gerichtswesens und der Rechtsprechung verbunden. Bereits in den antiken Rechtsordnungen – insbesondere im römischen Recht – war die Frage der örtlichen Zuständigkeit der Gerichte ein zentrales Anliegen, um für ein hohes Maß an Rechtssicherheit und eine geordnete Rechtspflege zu sorgen. Heute ist der Gerichtsstand seit der Einführung der Zivilprozessordnung (1877) in vielen modernen Rechtsordnungen verankert und bildet die Grundlage für eine faire und effiziente Streitbeilegung.

Definition

Der Gerichtsstand ist der Ort, an dem ein Rechtsstreit vor einem bestimmten Gericht verhandelt wird. Er ergibt sich aus dem deutschen Zivilprozessrecht, insbesondere aus § 12 ZPO. Im Gegensatz zur Rechtswegzuständigkeit, die die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts betrifft, bezieht sich der Gerichtsstand auf den örtlichen Aspekt. Es geht also darum, welches Gericht (z. B. Amtsgericht, Jugendgericht) an welchem Ort für den Betroffenen zuständig ist. 

Arten des Gerichtsstands 

Der allgemeine Gerichtsstand bestimmt den regelmäßigen Gerichtsstand, in der Regel ist das der Wohnsitz des Beklagten, während der besondere Gerichtsstand alternative Zuständigkeiten für bestimmte Sachverhalte ermöglicht. Ausschließliche Gerichtsstände legen die Zuständigkeit für bestimmte Rechtsmaterien zwingend fest, um eine spezialisierte Rechtsprechung zu garantieren. Mit der Prorogation hingegen können beide Rechtssubjekte selbständig und vorausschauend einen Gerichtsstand vereinbaren.

Allgemeiner Gerichtsstand

Der allgemeine Gerichtsstand bezieht sich auf den Ort, an dem eine Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort hat und somit grundsätzlich für alle Klagen gegen diese Person zuständig ist. Dieser Gerichtsstand ist in der Zivilprozessordnung (ZPO §§ 12 bis 19a) geregelt und betrifft nicht nur den Wohnsitz bei einer natürlichen und den Aufenthaltsort bei einer juristischen Person, sondern auch exterritoriale Deutsche, Insolvenzverwalter, Wohnsitzlose und den Fiskus.

Besonderer Gerichtsstand

Die besondere Variante ermöglicht es einem Gericht, für bestimmte einzelne Arten von Klagen zuständig zu sein. Dies ist beispielsweise aufgrund des Ortes, an dem eine vertragliche Verpflichtung erfüllt werden muss oder an dem ein schädigendes Ereignis eingetreten ist, der Fall. Die §§ 20 bis 34 ZPO beziehen sich dabei zum Beispiel auf die Niederlassung, die Mitgliedschaft, den Nachlass, die Kostenklage, die Vermögensverwaltung und weitere besondere Umstände. 

Ausschließlicher Gerichtsstand

Ausschließliche Gerichtsstände sind solche, die für bestimmte Rechtsstreitigkeiten zwingend vorgeschrieben sind und von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann. Beispielsweise sind für Streitigkeiten über das Bestehen einer eingetragenen Partnerschaft oder Ehe in vielen Rechtsordnungen ausschließlich die Gerichte am Ort der Eintragung zuständig. Zu den ausschließlichen Gerichtsständen gehören unter anderem auch Ehe-, Miet- und Umweltsachen, gerichtliche Mahnverfahren oder Gerichtsstände in der Zwangsvollstreckung. Sie gehen den allgemeinen und besonderen Gerichtsständen stets vor.

Prorogation (Gerichtsstandsvereinbarung)

Durch eine Prorogation können beide Parteien vereinbaren, ein zuständiges Gericht abzulehnen (Derogation), damit ein anderes Gericht für den betreffenden Fall zuständig wird (Prorogation). Voraussetzung ist, dass ein bestimmtes Rechtsverhältnis und ein damit zusammenhängender Rechtsstreit vorliegen. Eine solche Vereinbarung ist jedoch nicht möglich, wenn es sich um einen ausschließlichen Gerichtsstand oder um den Bundesgerichtshof oder ein Gericht höherer Ordnung handelt.

Bestimmung des Gerichtsstands

Der richtige Gerichtsstand für einen Fall wird durch die verschiedenen Instanzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit bestimmt. Im deutschen Rechtssystem gibt es vier Instanzen, die zum Beispiel vom örtlichen Amtsgericht bis zum Bundesgerichtshof reichen.

Erste Instanz

  • Amtsgericht: Zuständig für Zivil- und Strafsachen mit geringem Streitwert bis 5.000 Euro. Außerdem für bestimmte Angelegenheiten wie Familien- und Nachlasssachen, Firmenbuchsachen, Vormundschaften oder Mietsachen.
  • Landgericht: Es ist für Zivil- und Strafsachen zuständig, die nicht vom Amtsgericht behandelt werden und ist auch erste Instanz bei größeren Delikten sowie höheren Streitwerten. Bei Berufungen ist es die zweite Instanz. 

Zweite Instanz

  • Landgericht (Kammer für Handelssachen, Strafkammer, Zivilkammer): Funktioniert auch als Berufungsinstanz für bestimmte Fälle aus den Amtsgerichten und ist für Fälle mit einem Streitwert über 5.000 Euro zuständig. 
  • Sozialgericht, Arbeitsgericht, Verwaltungsgericht: Zuständig für spezielle Rechtsgebiete wie Sozial-, Arbeits- oder Verwaltungsrecht.

Dritte Instanz

  • Oberlandesgericht: Bearbeitet Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der Landgerichte und ist in bestimmten Materien auch erste Instanz.
  • Oberverwaltungsgericht, Landessozialgericht, Landesarbeitsgericht: Zuständig für Berufungen im Verwaltungs-, Sozial- und Arbeitsrecht.

Vierte Instanz

  • Bundesgerichtshof: Höchste Instanz für Zivil- und Strafsachen, prüft die Rechtsprechung der unteren Instanzen auf Rechtsfehler und sorgt für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung.
  • Bundesarbeitsgericht, Bundessozialgericht, Bundesverwaltungsgericht: Höchste Gerichtsinstanz in den Bereichen Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsrecht. 

Beispiele und Fälle aus der Praxis

Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen die Bestimmung des Gerichtsstands eine entscheidende Rolle spielt. So kann es beispielsweise bei einem Verkehrsunfall im Ausland zu Streitigkeiten darüber kommen, ob das Gericht am Ort des Unfalls oder am Wohnsitz des Geschädigten zuständig ist. Ebenso können bei Online-Geschäften Streitigkeiten über die gerichtliche Zuständigkeit entstehen, wenn Käufer und Verkäufer in verschiedenen Ländern ansässig sind. Klassische Fälle sind:

  1. Amtsgericht: Ein Mieter klagt gegen seinen Vermieter wegen Schimmelbefalls der Wohnung auf Mietminderung oder ein Ehepaar will sich scheiden lassen und wendet sich an das Amtsgericht, um das Scheidungsverfahren einzuleiten.
  2. Landgericht: Ein Unternehmer, der in erster Instanz vom Amtsgericht wegen einer Vertragsverletzung verurteilt wurde, legt Berufung beim Landgericht ein, weil er das Urteil für ungerecht hält. Oder: Eine Person verletzt eine andere Person schwer, was wegen der Schwere der Tat direkt vor dem Landgericht verhandelt wird.
  3. Oberlandesgericht: Der Angeklagte, der vom Landgericht zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, legt Berufung beim Oberlandesgericht ein, um das Urteil anzufechten. Oder: Nachdem sich Geschwister über das Erbe ihrer verstorbenen Eltern nicht einigen können und bereits die Vorinstanzen durchlaufen haben, landet der Fall vor dem Oberlandesgericht.
  4. Bundesgerichtshof: Ein Fall, in dem es um eine bundesweit relevante Frage der Auslegung des Strafrechts geht, kann bis zum Bundesgerichtshof gehen, um eine grundsätzliche Klärung herbeizuführen. Oder: Ein Softwareunternehmen klagt gegen einen Konkurrenten wegen Verletzung des Urheberrechts. Nach Durchlaufen der unteren Instanzen wird der Fall vor dem Bundesgerichtshof verhandelt, um eine endgültige Entscheidung herbeizuführen.

Häufig gestellte Fragen

Was ist der Unterschied zwischen Gerichtsstand und Erfüllungsort?

Der Erfüllungsort ist der Ort, an dem ein Vertrag oder eine Verpflichtung zwischen zwei Parteien zustande gekommen ist. Im Falle einer Vertragsverletzung können Erfüllungsort und Gerichtsstand identisch sein, müssen es aber nicht.

Was ist der “fliegende Gerichtsstand”?

Der „fliegende Gerichtsstand“ ist ein Begriff aus dem deutschen Zivilprozessrecht und bezeichnet die örtliche Zuständigkeit bei Klagen aus unerlaubten Handlungen, insbesondere bei Persönlichkeits- oder Urheberrechtsverletzungen im Internet. Aufgrund der weltweiten Abrufbarkeit von Inhalten im Internet kann theoretisch jedes Gericht zuständig sein und in ganz Deutschland angerufen werden. Dieser Grundsatz wurde jedoch in jüngster Zeit durch Rechtsprechung und Gesetzgebung eingeschränkt, um Missbrauch zu verhindern und eine gerechtere Prozessführung zu ermöglichen.

Was bedeutet Gerichtsbarkeit? 

Gerichtsbarkeit bezeichnet die Befugnis für das zuständige Gericht, rechtliche Verfahren zu entscheiden und Urteile zu fällen. Sie umfasst die örtliche und sachliche Zuständigkeit von Gerichten und ist in rechtlichen Normen und Gesetzen festgelegt. In einem weiteren Sinne bezieht sich der Begriff auch auf die Gesamtheit aller Gerichte innerhalb eines bestimmten Gebiets oder Rechtssystems.

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